Tabuthema Tod
Jeder Mensch muss einmal sterben. Der Tod gehört somit unweigerlich zum Leben dazu. Jeder weiß das und kaum einer spricht gern darüber. Das Wissen um den bevorstehenden Tod und somit der Prozess des Sterbens ist zweifellos die schwerste Lebensphase, die ein Mensch durchlaufen kann. Deshalb wünschen sich die meisten Menschen irgendwann „friedlich einzuschlafen“. In der Realität sieht das freilich anders aus . Von der Gewissheit des bevorstehenden Todes ‒ z. B. bei einer unheilbaren Krankheit ‒ bis zu dessen Eintritt können Tage, Wochen und Monate vergehen. Hier setzt die private und/oder „professionelle“ Sterbebegleitung an, die todkranken Menschen ein würdevolles Ableben ermöglichen soll.
Mehr als 90 % aller Menschen erhoffen sich, in vertrauter Umgebung zu sterben und dabei geliebte Menschen um sich zu wissen. Für rund zwei Drittel aller Menschen aber ist das Krankenhaus, für fast ein Viertel das Pflegeheim, für viele weitere ein Hospiz der letzte Aufenthaltsort in ihrem Leben. Vor allem körperliche Leiden in der Endphase des Lebens können nur bei fachgerechter medizinischer Betreuung gemildert werden (siehe Palliativmedizin). Aus diesen Gründen sind Krankenhäuser und Pflegeheime heutzutage dazu verpflichtet, angemessene Bedingungen für ein würdevolles Sterben innerhalb ihrer Einrichtungen zu schaffen.
Den Tod als natürlichen Prozess begreifen
Sterbebegleitung erwächst aus dem sozialen Miteinander und erfordert eigentlich nicht viel außer ausgeprägter Empathie und menschlichen Gesten. Dennoch gibt es große Ängste und Unsicherheiten in der Auseinandersetzung mit dem Tod. Ursachen hierfür sind die Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit und das Wissen um den bevorstehenden Verlust eines geliebten Menschen. Problematisch ist ebenfalls, dass der Tod in der westlichen Welt ‒ im Gegensatz zu anderen Kulturkreisen und früheren Jahrhunderten ‒ weitgehend tabuisiert und aus den Gedankengängen der Menschen verbannt wird. Auch das irreale bis skurrile Sterben in den Medien entfremdet die Menschen zusehends von diesem natürlichen Vorgang.
Grundlagen der Sterbebegleitung
Im Gegensatz zu betreuerischen Aufgaben bedeutet eine begleitende Tätigkeit, dass man für einen anderen Menschen da ist, um sich ihm in einer Krisensituation mit
intensiver Zuwendung anzunehmen. Da es weder gesetzliche Rahmenbedingungen gibt, noch man verpflichtet ist, bestimmte Angelegenheiten zu regeln, kann theoretisch jeder zum Sterbebegleiter werden: ein
guter Freund, ein pflegender Angehöriger, ein naher Verwandter oder auch eine betreuende Person.
Es gibt somit keine „professionellen“ Sterbebegleiter, wohl aber Berufsgruppen, die diese Funktion im Rahmen ihrer Arbeit ausfüllen, z. B. Angestellte aus dem Gesundheitswesen oder Mitarbeiter
sozialdienstlicher und seelsorgerischer Organisationen. Optimal erweise begleitet ein interdisziplinäres „Team“ aus Angehörigen sowie medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Fachkräften den
Sterbenden auf seiner letzten Reise.
Anforderungen an den Begleiter
Von großer Bedeutung ist die innere Bereitschaft, sich auf den Sterbenden und seine Wünsche einzulassen. Hierbei sind ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Toleranz
gefragt ‒ z. B. im Hinblick auf religiöse oder spirituelle Bedürfnisse oder auf psychische und körperliche Veränderungen während des Sterbens. Nur so kann ein Sterbender unbefangen und authentisch
bis in den Tod begleitet werden. Nur so erfährt er das Verständnis und die Menschlichkeit, die ihn am Ende ein versöhnliches Gefühl vermitteln.
Engagement, Geduld und Belastbarkeit sind weitere Voraussetzungen für eine kompetente Sterbebegleitung. Da der Tod praktisch jeden Moment eintreten kann, sollte ein Begleiter in der Lage sein, durch
seine Beobachtungen den Zustand des Sterbenden zu erkennen.
Die wichtigste Aufgabe eines Begleiters ist es, die Würde des sterbenden Menschen zu
bewahren sowie seine Bedürfnisse und Wünsche bestmöglich zu erfüllen. Dabei bestimmt vor allem der
Sterbende selbst, was er als würdevoll empfindet und was nicht, was angenehm oder unangenehm für ihn ist.
Die Umgebung des
Sterbenden spielt dabei eine große Rolle. Ob zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz ‒ der Begleiter hat Sorge dafür zu tragen, dass zunächst die äußeren Rahmenbedingungen stimmen und
den Wünschen des Patienten entsprechen. Dabei kann es sich manchmal auch um sehr einfache Dinge handeln, die z. B. die Beleuchtung, Belüftung, Möblierung oder die Mahlzeiten betreffen.
Todkranke Menschen sind häufig von Wahrnehmungsveränderungen betroffen. Viele Sinne sind in der Endphase des Lebens besonders stark ausgeprägt, z. B. das Tasten, Sehen, Riechen, Schmecken oder Hören.
Als Sterbebegleiter sollte man daher versuchen, den Patienten nicht zu überreizen. So mag das Leibgericht auf einmal nicht mehr schmecken, die Lieblingsmusik störend klingen, eine innige Berührung
unangenehm wirken oder helles Sonnenlicht unerwünscht sein.
Bei an Demenz erkrankten Menschen stellt sich das Problem, dass diese ihre Wünsche und Bedürfnisse kaum oder gar nicht mehr
äußern können. Es ist ihnen häufig ebenso wenig bewusst, dass ihr eigener Tod bevorsteht, auch wenn die ärztliche Diagnose eindeutig ist. Die Anzeichen für den nahenden Tod lassen sich jedoch von
außen nicht immer deuten, solange kein medizinischer Notfall besteht oder ein rapider Abfall der Körperfunktionen beobachtet wird.
Fest steht andererseits, dass auch demenzkranke Menschen Nähe, Vertrauen und Intimität wahrnehmen und wertschätzen. Sie sollten daher bis zum Schluss nach bestem Wissen und Gewissen betreut und
begleitet werden. Vielleicht ist es für Demenzpatienten sogar „einfacher“, dem Tod zu begegnen, weil sie den Prozess des Sterbens nicht in vollem Bewusstsein miterleben oder reflektieren können. Von
daher gelten besonders der körperliche Kontakt und das Schaffen einer angenehmen Atmosphäre als wichtige Maßgaben für die Sterbebegleitung.
Sterbebegleitung durch Angehörige
Wenn man mit dem Tod konfrontiert wird
Angehörige eines todkranken Menschen werden meist „automatisch“ und unfreiwillig zu dessen Sterbebegleitern. Die eigene Betroffenheit aufgrund der Situation lässt häufig
jedoch keine klare Sicht der Dinge zu. Sie belastet den Begleitenden nicht selten genauso wie den Sterbenden selbst. Im Idealfall gibt es daher mehrere Begleiter, die den Todkranken, seine letzten
Wünsche und sein Umfeld im Blick haben ‒ und die sich gegenseitig unterstützen.
Um den Erwartungen an eine harmonische Sterbebegleitung gerecht zu werden, sollte sich jeder Begleiter auch selbst mit seinem eigenen Leben und dem Tod auseinandersetzen können. Schließlich wird man
immer mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert. Das Begleiten eines Menschen bis zu seinem Tod kann aber auch dazu führen, sogar besser mit tiefen Gefühlen umgehen und das eigene Leben bewusster
gestalten zu können.
Probleme vermeiden und Unterstützung suchen
Problematisch ist es oft, sollten während der letzten Lebensphase des Sterbenden von Seiten der Angehörigen Probleme gewälzt, Familienkonflikte angesprochen oder noch „offene
Fragen“ geklärt werden wollen. Dies führt eher zu einem belastenden als zu einem erlösenden Ende. Gerade im Familienverbund mehrerer Angehöriger sollten diese zusammenhalten und Konkurrenzdenken und
Streitpunkte außen vor lassen.
Als privater Sterbebegleiter sollte man sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen im Umgang mit dieser belastenden Situation. Medizinische und pflegerische Unterstützung ist meist vorhanden, aber kann die
psychologische oder soziale Komponente oft nicht bedienen. Hier kann beispielsweise ein ambulanter Hospizdienst die richtige Lösung sein. Für ungeübte Angehörige bieten vor allem kirchliche
Organisationen und Hospizvereine auch kostenlose Kurse an, die sich mit diesem Thema Sterben und Tod ausführlich befassen.
Hospizdienste
Das Lebensende würdevoll gestalten
Als Hospiz (lateinisch sinngemäß für „Ruheplatz”) bezeichnet man ein Konzept für die Begleitung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. In erster Linie umfasst es die
Betreuung unheilbarer kranker Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Dies kann sowohl in den eigenen vier Wänden als auch im stationären Bereich geschehen. Hervorgegangen ist das Hospiz aus einer
bürgerlichen Initiative, die das Tabuthema Tod und Sterben wieder in der Gesellschaft verankern und auch Sterbenden einen festen Platz im Leben bieten will.
Wie bei der Sterbebegleitung allgemein stehen auch in der Hospizarbeit die persönlichen Wünsche des Sterbenden an erster Stelle ‒ z. B. nach Ruhe oder Gesellschaft, nach Konzentration oder
Zerstreuung, nach der Art der medizinischen Versorgung oder Intensität der persönlichen Betreuung. Die Aufgaben des Hospizdienstes enden jedoch nicht mit dem Tod der Patienten. Auch die Angehörigen
sollen auf diesem schweren Weg begleitet werden. Damit unterscheidet sich das Hospiz deutlich von herkömmlichen Institutionen im Gesundheitswesen.
Der Begriff Hospiz enthält in seiner heutigen Bedeutung enthält nach J. C. Student (2004) bestimmte Kennzeichen, die allen Angeboten weltweit gemeinsam sind:
Der sterbende Mensch und seine Angehörigen stehen im Zentrum des Dienstes.
Der Sterbende erfährt Unterstützung von einem interdisziplinären Team unter Einbeziehung freiwilliger Helfer.
Krankheitssymptome wie Schmerz, Übelkeit oder Atemnot werden ständig beobachtet.
Die gesamte, vom Tod eines Menschen betroffene Personengruppe wird fürsorglich unterstützt.
In Deutschland gibt es heute rund 150 stationäre Hospize, fast 1.500 ambulante Hospizdienste und über 80.000 Hospizhelfer. Der eigentliche Bedarf aber liegt deutlich höher.
Man spricht von einem ambulanten Hospiz, wenn die Sterbenden in ihrer eigenen oder in der Wohnung von Angehörigen betreut werden. Dabei kommen nach Wunsch und Bedarf täglich für ein paar Stunden haupt- oder ehrenamtliche Helfer/innen ins Haus. Oft wird hierdurch die Arbeit eines ambulanten Pflegedienstes um die psychologische und soziale Komponente ergänzt. Nicht nur die Sterbenden, sondern auch die Angehörigen erfahren in der Regel eine kostenlose Unterstützung durch die Mitarbeiter des ambulanten Hospizdienstes.
Kann oder will ein Patient aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr zu Hause
versorgt werden, greift das stationäre Hospiz. Anders als in einem Pflegeheim steht hier die persönliche Betreuung eines Sterbenden im Vordergrund. Dementsprechend intensiver werden die Patienten
psychologisch umsorgt und medizinisch betreut. Sie und ihre Angehörigen sollen im Hospiz zur Ruhe kommen und zum Ende ihres Lebens ein Stück „Normalität“ erfahren können.
Persönliche Dinge und teilweise auch eigene Möbelstücke können mit ins Hospiz genommen werden. Die Patienten bestimmen weitestgehend selbst, wann und wie sie versorgt werden.
Die Mahlzeiten werden den Wünschen der Gäste angeglichen und nicht nach medizinischen Indikationen verabreicht. Auch Angehörige sind selbstverständlich willkommen, können an den Mahlzeiten teilnehmen
und auch im Hospiz übernachten. Gesprächsangebote tragen dazu bei, dass sie mit der oft belastenden Situation besser umgehen können.
In Notfallsituationen wie Schmerz- oder Atemnotattacken können Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Meistens lässt sich damit die Einweisung in ein Krankenhaus verhindern. In der Regel bleiben die
Verstorbenen noch bis zu zwei Tage im Haus, damit sich Angehörige und Freunde auch nach dem Tod noch von ihnen „verabschieden“ können.
Ob ambulant oder stationär ‒ grundsätzlich entstehen dem Patienten und damit auch seinen Angehörigen keine Kosten für die Inanspruchnahme von Hospizleistungen. Der ambulante Hospizdienst erfolgt in der Regel von ehrenamtlichen Helfern. Im stationären Hospiz werden 90 % der anfallenden Kosten in aller Regel von den Kranken- und Pflegekassen übernommen, 10 % hat der jeweilige Träger selbst zu aufzubringen. Obwohl viele ehrenamtliche Helfer kostenlos für Hospizdienste arbeiten, sind gerade stationäre Hospize auf Spenden angewiesen. Jede noch so kleine Summe kann helfen, den Hospizbetrieb aufrecht zu erhalten und weiter optimieren zu können.
Eine Initiative für mehr Menschlichkeit
Die Hospizbewegung in
Deutschland, die Ende der 1970er Jahre entstand, ist eine Antwort auf den gesellschaftlichen aber auch gesundheitspolitischen Umgang mit schwerer Krankheit, dem Sterben und dem Tod. Ausgangspunkte
der Hospizbewegung sind die früher oft mangelhafte Schmerztherapie, die Verdrängung des Sterbens in der Gesellschaft, die mitmenschliche Hilflosigkeit von Angehörigen sowie die Angst, Vereinsamung
und Verzweiflung todkranker Menschen selbst.
Die Hospizarbeit lebt vor allem von der meist ehrenamtlichen Basisarbeit vieler Menschen, die ihren Gemeinsinn und ihre Fürsorge einbringen, um Menschen ganz individuell in der Phase des Sterbens
beizustehen. Sie spannt einen Bogen von den Bedürfnissen des Patienten über die gesellschaftliche Verantwortung bis hin zur Betreuung der Hinterbliebenen.
Palliativmedizin
Wenn Heilung nicht mehr möglich ist
Als Palliativmedizin bezeichnet man Behandlungsmethoden, die bei unheilbaren
Krankheiten im fortgeschrittenen Stadium und nur noch geringer Lebenserwartung angewandt werden. Palliativmedizin ist damit nicht auf die Heilung und Genesung eines Patienten ausgerichtet, sondern
vor allem auf weitestgehende Schmerzfreiheit. Dies kann durch medikamentöse, pflegerische und andere Maßnahmen erfolgen. Es steht somit nicht die Verlängerung der Überlebenszeit um jeden Preis,
sondern der bestmögliche Erhalt einer akzeptablen Lebensqualität bis zum Eintritt des Todes im Vordergrund ‒ natürlich immer unter Berücksichtigung der Wünsche des Patienten.
Entsprechende stationäre Einrichtungen in Krankenhäusern nennen sich Palliativstationen. Sie entstanden im Rahmen der Hospizbewegung als zusätzliches Angebot neben ambulanter Sterbebegleitung und
stationärer Hospizversorgung. Ziel ist es, die unheilbaren Patienten so einzustellen, dass sie während der letzten Lebensphase wieder zu Hause versorgt werden können. Auch die Verlegungen in ein
Hospiz ist eine denkbare Alternative am Lebensende. Sollte eine Entlassung nicht mehr möglich sein, stellt die Station dem Sterbenden Raum und Begleitung zur Verfügung. Die räumliche Gestaltung ist
meist wohnlicher und die Gesamtatmosphäre ruhiger als auf anderen Krankenhausstationen.